Mittwoch, 26. Oktober 2011

Ein Text, der bleibt!

Franz Tumler war mir bislang noch kein Begriff. Nach diesem Buch sollte er es sein. Seine Lebensgeschichte zeigt auch Brüche, dennoch scheint es mir, als ob in seinem Werk noch viel zu entdecken sei.


Hier der link zu weiteren Infos: Franz Tumler

Eigentlich ist es ein ganz schmales Werk, zählt man nur die Seiten. Dennoch beinhaltet es wohl eines der sehr interessanten Werke zum Hintergrund des Schreibens.
Franz Tumler befaßt sich in diesem Buch, welches bereits in der 60er Jahren erschienen ist, mit der Frage, ja einmal des Titels und zum zweiten auch mit der Frage seiner Einstellung zum Schreiben.
Vorweg gestellt ist dem Buch eine Beschreibung einer Wanderung durch und damit verbunden eine Schilderung der toskanischen Stadt Volterra in den 60er Jahren. Mit einer Begleitung erkundet er diese geschichtsträchtige mittelalterliche Stadt. Kurze, knapp skizzierte, Eindrücke bringt Tumler zu Papier. Beschreibungen der Stadt, seiner Eindrücke mehr nicht. Es mutet schon fast wie eine Schreibübung.  Federleichte Sätze, so wie Stadt und Landschaft, so scheint es. Der Leser hat tatsächlich den Eindruck diese Sätze seien locker eines Schreibwerkzeuges entflossen.
Dagegen, oder besser gesagt, erklärend, steht der zweite Teil des Buches. In diesem erklärt Tumler seine Herangehensweise an Literatur. Er erklärt seinen Standpunkt zur Literatur und insbesondere zu seinen Texten. Nun muß man sich das nicht leicht vorstellen. Nein, Tumler kämpft um die Szenen, die er beschreibt. Er geht dabei von seiner Rolle als Autor aus. Er ist der Ansicht, daß dabei entscheidend ist die Trennung von Autor und des von ihm Geschriebenen Dieses ist die Voraussetzung zur Schaffung von Kunst. Das klingt widersinnig und es ist Tumler auch bewußt und klar. Aber ist es nicht dennoch zutreffend? Ist nicht wichtig für die Entstehung eines literarischen Textes, daß sich der Autor von ihm trennt? Ja, so sagt Tumler, denn der Lebensstoff aus dem der literarische Stoff entsteht, gehört immer noch dem Autor und bleibt auch dort! Und das macht diese beiden Texte, der eine Prosa, der andere Essay, so wichtig. Zeigt der zweite dem Leser doch, wie der erste entstanden ist und warum er so entsteht. Tumler gewährt Einblicke in die Entstehung seines Werkes und in seine Sicht auf Kunst, speziell der Literatur. Er entzaubert damit aber nicht den Moment des Schreibens, des Entstehens. Sondern er nimmt den Leser an die Hand, mit ihm zusammen seine Prosa näher zu verstehen. Der Zauber von Literatur, hier der Prosa, bleibt, nur ist der Leser durch mehr Verstehen näher am Text. Gut, daß derartige Text nicht an Aktualität verlieren und das sie bleiben.

Sonntag, 23. Oktober 2011

Zu entdecken- der Schriftsteller und Lyriker Jürgen Theobaldy

Auf Jürgen Theobaldys Roman Sonntags Kino bin ich aufmerksam geworden durch eine Rubrik in der online-Ausgabe Der Zeit. Diese Rubrik beschäftigt sich mit "vergessenen" Büchern und ihrer Qualität.

Jürgen Theobaldy wurde 1944 geboren, studierte Literaturwissenschaften, zuvor Lehramt für die Grundschule und lebt seit 1984 in der Schweiz,  nach meinen Informationen ist dort auch als Parlamentsschreiber tätig. Neben Lyrik veröffentlichte er auch mehrere Prosabände, einer davon ist Sonntags Kino. Ein weiterer Roman trägt den Namen Spanische Wände und liegt auch schon bereit.

Sonntags Kino beschäftigt sich mit dem Aufwachsen in der Bundesrepublik in den 60er Jahren. Theobaldys Helden sind Jugendliche in der Ausbildung zwischen Aufbegehren und der Tristesse der Städte, vor allem an den Sonntagnachmittagen. Es sind die kleinen Fluchten ins Kino, die ersten Fummeleien und mehr mit Mädchen, tapsig und unbeholfen und das anschließende Prahlen damit vor den Kumpels, die Theobaldy liebevoll und unvoyeuristisch schildert. Es sind die "einfachen" Charaktere, die diesen Roman tragen und sehr authentisch wirken lassen. Man kann den Eindruck gewinnen, und es paßt ja auch, Theobaldy wurde 1944 geboren, als ob er diese Geschichten selbst erlebt hat. Dann kommen aber auch die ernsten Momente, wenn ein Kumpel bei der Probefahrt, er arbeitet als Lehrling an einer Tankstelle, mit dem Porsche des Kunden bei der Probefahrt verunglückt. Dann ist der Roman ernst und traurig und der Leser spürt die Unsicherheit der Jungen. Die brutale Frage nach der eigenen Existenz kommt auf, plötzlich kommt auch der Tod in das Leben der Jugend. Theobaldy läßt es am Ende offen, ob der Junge stirbt, ob er gelähmt bleibt. Genauso, wie seine Charaktere es nicht wissen, wohin sie ihr Leben führt, bleibt der Leser darüber im Unklaren. Und da ist auch fast folgerichtig, daß das Buch tragischkomisch endet. Riko, einer der Jungen, will, egal wie, nach Paris, einmal von den Hügel von Sacré-Coeur über die Dächer von Paris schauen, koste es was wolle. Der Job im Büro ist ihmgleichgültig, nur einmal dieses Gefühl haben. Die Reise endet am Bahnhof mitten in der Nacht. Der Zug nach Paris fährt erst am Morgen und da er keine Fahrkarte hat, endet sei Ausbrechen im Gewahrsam der Polizei, nachdem er noch eine Ohrfeige bekam. Jedenfalls kann er am anderen Tag etwas den Kumpels erzählen!

Jürgen Theobaldy ist mit diesem Roman, der 1978 erschienen ist, ein  detaillreiches Porträt Deutschlands in den 60er Jahren gelungen. Die Charaktere sind stimmig und glaubwürdig, sie passen! Ab und an erinnerte mich der Roman an Lieder von Franz-Josef Degenhardt, der ja auch häufig den Mief Deutschlands in seinen Liedern darstellte.

Ein zu Unrecht vergessener Roman!

Historischer Krimi aus (Duisburg) Ruhrort

Silvia Kaffkes Roman Das rote Licht des Mondes ist angesiedelt in Ruhrort im Jahre 1854. Daher die Überschrift, denn zur damaligen Zeit ist Ruhrort noch eigenständig. Es ist die Zeit der beginnenden Industrialisierung der Rhein-Ruhr-Region. Bestialische Morde, verübt durch eine "Sekte" beschäftigen den Kommissar in einer Welt, die sich an der Schwelle zu einer neuen Zeit  befindet. Eine Liebesgeschichte und die Emanzipation der weiblichen Hauptfigur kommen hinzu. Die Düsternheit der engen Gassen, das Elend der Arbeiter und dagegengestellt die wohlgeordnete Welt der Honorationen, Kaufleute und Fabrikbesitzer, daß alles stellt Silvia Kaffke eindrucksvoll dar. Kein Wunder, lebt sie doch in Ruhrort und ist gebürtige Duisburgerin. Das sie ursprünglich Kriminalromane erfolgreich schrieb, merkt man dem Buch an. Die Geschichte ist gut angelegt, die Spannung auf den Punkt gebracht, wenn auch die Hintergründe der Sekte etwas mystisch sind, etwas im Verborgenen bleiben. Somit ein Roman, der absolut empfehlenswert ist.
Überhaupt hat das Ruhrgebiet in den letzten Jahren, so seit ca. 20 Jahre, eine lebhafte Krimiszene hervorgebracht. Einige Romane habe ich ja schon vorgestellt. Geht man von West nach Ost, so findet man in jeder größeren Ruhrgebietsstadt Autoren, die ihre Stadt zur Kulisse von Krimis machten. Nun auch das historische Ruhrort. Es paßt und zeigt, wie interessant und spannend diese Szene ist. Nun gut, literarische Höchstleistungen darf man nicht erwarten, jedoch viel Lokalkolorit und nicht zu vergessen, den Wiedererkennungsfaktor. Und viel typischen Ruhrgebietshumor, den die Protagonisten brauchen, um in diesem Landstrich ein Bein auf die Erde zu bekommen! Und da stellt Das Rote Licht des Mondes eine gelungene Ergänzung dar!

Montag, 3. Oktober 2011

Max Frisch--Der Mensch erscheint im Holozän--Klassiker schon heute

Max Frisch gehört bis heute zu den Schriftstellern, zu denen ich immer wieder zurückkehre. Er hat mich seit jeher fasziniert und beschäftigt. Die Lektüre seiner Bücher bringt immer wieder neues zu Tage. Seine Ansätze, Thesen und Meinungen sind für mich zeitlos. Sein ständiges Ringen mit sich selbst, mit seiner Umwelt und der Frage nach dem menschlichen Sein, das ist immer modern.
Nun, Der Mensch erscheint im Holozän, diese kleine, kurze, fast schon knappe Erzählung zeigt die ganze Breite seines Denkens. 1979 erschienen, ist sie durchaus dem Alterswerk zuzurechnen. Ob sie autobiografisch ist, wie es mitunter behauptet wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Darauf kommt es mEn auch gar nicht an.
Herr Geiser, der Protagonist, befindet sich in einem Tal im Tessin, durch ständige Regenfälle ist das Tal von der Umwelt abgeschlossen. Alleine in seinem Haus beginnt der Verfall dieses Menschen. Eine beginnende Demenz zeigt ihre ersten Symptome. Herr Geiser merkt das und versucht verzweifelt seinem (Rest?) Leben eine Ordnung und damit wiederum einen Sinn zu geben. Das Leben reduziert sich auf einige Vorräte und eine bescheidene Bibliothek. Erst liest er, später schneidet er aus den Büchern aus und sammelt Zettel, quasi auch Versatzstücke aus seinem Leben. Ein Ausbruch gelingt nicht und schlußendlich erleidet er noch einen Schlaganfall. Also faßt schon ein normaler Gang eines Lebens, zum Schluß zusammen gehalten von dem Wunsch nach Struktur und Ordnung.

Ob es noch Gott gibt, wenn es einmal kein menschliches Hirn mehr gibt, das sich eine Schöpfung ohne Schöpfer nicht denken kann, fragt sich Herr Geißer. (S. 17)
Ist diese Fragestellung nicht eine, die Frisch ein Leben lang begleitet hat? Frisch als Zweifler. In Der Mensch erscheint im Holozän bringt Frisch diese Fragen auf wenigen Seiten auf den Punkt. Ein Buch, daß auch durch die Prägnantheit seiner Sätze, seiner Ideen lebt und beeindruckt. Herr Geiser stellt fest, wie nutzlos Wissen ist im Anblick der eigenen Vergänglichkeit. Alles verschwimmt, geht innerhalb kurzer Zeit verloren.
...schon  eine Stunde später erinnert man sich nur noch ungenau, vor allem Namen und Daten prägen sich nicht ein... (S. 28)
Alles vergeht, dem kann Herr Geiser nichts entgegensetzen. So betrachtet er denn seinen eigenen Verfall. Es bleiben nur Fragen am Ende eines Lebens. 
Seit wann gibt es Wörter? (S. 54) Ist es die Angst des Schriftstellers davor, die Fähigkeit zu verlieren, zu schreiben. Diese Wörter kann es nur sehr kurze Zeit im Verhältnis zur Entwicklung des Universums, der Erde geben. Es sind eigentlich Momente, seit dem sie existieren. Wie bewußt muß das Frisch gewesen sein?
Frisch ist und bleibt Skeptiker, wohl sein ganzes Leben lang. Ist es das, was ihn in seinem Schreiben voran trieb? MEn durchaus denkbar.
-daß es Gott gibt, wenn es einmal keine Menschen mehr gibt, die sich eine Schöpfung ohne Gott nicht denken können, ist durch die Bibel und das Muttergottes-Fresko nicht bewiesen; die Bibel ist von Menschen verfaßt. (S.102/103) Und so findet der Mensch auch keinen Trost in der Religion.
Und so resümiert er fast schon: Es bleibt nichts als Lesen. (S. 16) Ob allerdings das Lesen den Trost spendet, den Frisch erwartet, mag dahinstehen. Seine Fähigkeit dem Leser vieles mit auf den Weg zu geben, ist unbestritten. Frisch gilt es zu entdecken, auch heute noch.

* Alle Zitat aus der Ausgabe Suhrkamp, 2011.