Sonntag, 23. Februar 2014

Und nie vergessen: Mignon Langnas, Tagebücher und Briefe 1938-1949;


Vielen Dank dem Haymon Verlag für dieses Buch. 
Beeindruckend. Sind schon Viktor Klemperers Tagebücher  eindrücklich, so kommt bei den Aufzeichnungen und Briefen von Mignon Langnas hinzu, daß hier nicht ein Hochschulprofessor wie Klemperer über diese Zeit als besessener Tagebuchschreiber  Zeugnis ablegt, sondern eine junge Frau, die das Glück hat, durch ihre Tätigkeit in einem jüdischen Altenehiem in Wien der Deportation zu entkommen. Und so ist die Sprache , umgangssprachlich!
Und das macht diese Aufzeichnungen und Briefe so absolut lesenswert; Geschichte fühlbar und präsent! 

 Dieses Buch kann man und darf man auch nicht mit den üblichen Maßstäben einer Rezension messen.
Mignon Langnas ist eine junge, jüdische Frau, die Wien lebt. Sie kam 1914 mit 11 Jahren nach Wien und überlebte die nationalsozialistische Schreckensherrschaft in Wien.
Ihre Briefe an die Verwandtschaft und ihr Tagebuch stellen eine wichtige Quelle dar, die vom tägliche jüdischen Leben in der damaligen Zeit zeugt.
Schon beinah erschreckend nüchtern kommen diese Aufzeichnungen daher. Die zunächst schleichende Veränderung des Lebens wird drastisch sichtbar. Mignon Langnas beschreibt alles aus ihrer Position heraus. Eine Fluchtmöglichkeit in die USA, wo Teile ihrer Familie hin geflüchtet sind, hat sie verpasst. Sie wollte ihren Vater nicht alleine in Wien zurücklassen. Und so verändert sich Tag für Tag ihr Leben hin zum schlechteren. Juden dürfen ab 1939 abends und nachts nicht mehr die Straßen betreten; es gilt ein Rundfunkverbot, ihre Radiogeräte werden eingezogen. Der Wohnraum wird immer knapper und auch die Nahrung. Mignon Langnas findet Arbeit in einem jüdischen Altenheim. Ja, viele alte, jüdische Menschen blieben allein zurück in Wien, so dass die Israelitische Kultusgemeinde ab 1938 einen erhöhter Bedarf an Plätzen hatte. Für viele jüdische Menschen war das auch die einzige Verdienstmöglichkeit damals, die Arbeit in diesen Einrichtungen.
All das schildert Mignon Langnas in der ihr eigenen Sprache. Natürlich keine literarische Sprache, sondern ein Zeitdokument. Diese Briefe und Tagebücher geben dem Grauen einen Ausdruck. Dem verzweifelten täglichen Kampf ums Überleben. Heute für uns, auch wenn wir der Meinung sind darüber viel zu wissen, enorm wichtig. Nicht nur die Texte von Mignon Langnas, auch die Anmerkungen der Herausgeber. Es fügt sich zusammen zu einem Bild, einem mahnenden Bild für den Leser: nicht zu vergessen, immer zu erinnern!
Die Lektüre dieser Tagebücher und Briefe sei unbedingt empfohlen!

Dienstag, 18. Februar 2014

Gibt es Vergebung? Andreas Neeser, Zwischen zwei Wassern


Andreas Neeser hat mich vor einigen Jahren schon mit seinen Erzählungen Unsicherer Grund beeindruckt. Nun ist sein neuer Roman erschienen und es ist eine grandiose Abhandlung über Schuld und Vergebung. Ja, gibt es sie wirklich, die Vergebung. Oder hängt alles an dem seidenen Faden, von dem man nie in seinem Leben weiß, wann er reißt? Ob er überhaupt reißt? Können wir überhaupt handeln oder ist es alles irgendwo, irgendwie vorher bestimmt? Fragen, die bei Neeser mitschwingen, zum Glück versucht Neeser nicht auf Teufel komm raus eine Antwort.
Das ist gut so, jeder von uns muß seine Antwort selbst geben!
Dank an den Haymon Verlag für das ebook.


Das Finistère, diese faszinierende, düstere, raue Landschaft am Meer in der Bretagne, tief im Westen ist Schauplatz einer Tragödie.
Vero, die Freundin des Erzählers wird von einer riesigen Welle während eines Sonnenbades am Meer in das selbige gezogen und ertrinkt. Er stellt sich ein später noch einmal dieser Situation, als er den Ort des Geschehnisses aufsucht.
Aber was erwartet er vor Ort? Vergebung, weil er nicht hinterher gesprungen ist und einen Rettungsversuch gestartet hat? Nein, das kann es nicht sein, versichern ihm doch die Einheimischen, dass bei dem kalten Wasser auch seine Überlebenschance nur gering gewesen wäre.
Erklärungen, Erinnerungen? Er weiß es letztendlich nicht. Etwas zieht ihn zu dieser Landschaft. Auch die Menschen und bretonischen Typen spielen sicherlich eine Rolle.
Und so stellt Andreas Neeser in diesem schmalen Stück Literatur viele Fragen. Und dem Leser wird schnell bewusst, das wären die Fragen, die er eventuell auch stellen würde. So ist es jedenfalls mir gegangen. Wie geht man mit Katastrophen um? Reicht die rationale Erklärung für sich, du bist nicht dafür verantwortlich? Auch wenn es objektiv so ist? Oder fängt irgendwann das Unterbewusstsein an, immer wieder die Situation abzuspielen und nach alternativen Verläufen zu suchen.
Bestimmt, nur wofür und wohin soll es führen? Der schicksalhafte Verlauf war da und ist nicht mehr zu ändern. Zwischen diesen Spannungspunkten verläuft dieser Roman.
Andreas Neeser schildert das eindringlich, nicht weinerlich. Wäre man bei der Betrachtung eines Gemäldes, so würde man von „kräftigen Strichen“ sprechen.
Landschaft, Leben dort mit und gegen die Natur sind Mittel zur Verdeutlichung. Der Leser spürt das Salz in der Luft und den kräftigen Wind, den sturmgepeitschten Himmel. Und dazwischen dieser schuldbeladene Mann. Klein, verletzlich. Und schuldhaft? Davon geht er jedenfalls aus. Aber muss er davon ausgehen? Sind da nicht Faktoren, die ihn von Schuld freisprechen? Ist er gar ohne Schuld?
Aus diesen Polen bezieht der Roman seine Spannung! Spannung im Sinne der Fragen nach Verantwortung, Handeln und ggfls. der Möglichkeit anders zu handeln. Aber der andere Handlungsstrang ist ja weg; weg innerhalb eines kurzen Augenblicks. Alles zerstört! Zurück bleibt eine weitere Zerstörung, die innerliche Zerstörung mit der der Erzähler leben muss.
Grandios hat Andreas Neeser das erzählt. Es ist eigentlich ein profanes Thema. Tausende Menschen sind tagtäglich damit konfrontiert. Der Autofahrer, der einen kleinen Augenblick nicht aufpasst und einen schrecklichen Unfall verursacht, der Mensch an einer Maschine, der durch falsche Bedienung seinen Kollegen in Gefahr bringt; Beispiele kann man viele bilden.
Und alle stellen sich dann, genau wie Andreas Neeser in seinem Buch, die immer gleichlautenden Fragen.
Und keiner kann ihnen darauf eine Antwort geben. Und so gibt auch Andreas Neeser keine, so zumindest habe ich es empfunden.
Er schreibt darüber und er schreibt stark, eindrücklich und betroffen. Ein beeindruckender Roman!

Sonntag, 16. Februar 2014

Stefan Zweig, Montaigne

Das ich Montaigne für einen der größten Denker der Menschheitsgeschichte halte, daraus mache ich keinen Hehl.
Umso mehr freute es mich, daß ich dieses ebook im internet entdeckte.
Es handelt sich um die letzte, unvollendet gebliebene Arbeit von Zweig. Sie gibt, auch in ihrer Kürze, einen guten Einblick in das Montaignesche Denken.
Biographische Hinweise, natürlich in der Kürze des Texts, gibt Zweig, aber man merkt, daß er in erster Linie auf das Denken abstellt und von diesem fasziniert ist.