Sonntag, 22. November 2009

Wilhelm Genazino; Die Liebesblödigkeit; Die Liebe und andere Apokalypsen

Zugegeben, ich mag die Art und Weise wie Wilhelm Genazino schreibt. Seine Themen interessieren mich, seine Sprache ist von feinem Witz und genauer Beobachtungsgabe geprägt. Und so verwundert es nicht, daß mir auch Die Liebesblödigkeit erneut viel Freude und auch Spaß beim lesen machte. Genazino beschreibt darin das Leben, zumindest einen kleinen Ausschnitt davon, eines Mannes, Anfang 50, der mit zwei Frau lebt. Lebt dergestalt, daß die eine nichts von der anderen weiß. Bequem hat er sich sein Leben eingerichtet, die eine wäscht seine Wäsche, während er mit der anderen amourösen Abenteuern nachgeht. Alles scheint perfekt zu laufen, bis unserem tragischen Held ein Gedanke durch den Kopf schießt: Was passiert eigentlich, wenn die beiden Frauen von einander erfahren, zB in Fall einer Erkrankung seinerseits und beide stehen im Krankenhaus am Bett. Und so beschreibt Genazino den Alltag dieses Mannes, der beruflich eigentlich auf tönernen Füßen steht, er ist freiberuflicher Apokalyptiker (!). Nichts funktioniert so richtig und manches geht schief. Dieses schildert Genazino mit der ihm eigenen Genauigkeit und Schärfe. Seine Fähigkeit, dieses in Sprache umzusetzen, ist beeindruckend. Es entstehen Sätze und Bilder, die sich einprägen. Bsp: "Das Volk wird ihn (den apokalyptischen Faschismus) bejubeln, wie noch kein Faschismus bejubelt worden ist. Der neue Faschismus kommt in der Maske der permanenten Massenunterhaltung auf uns zu." Wie wahr! Aus diesen beiden Sätzen nun aber den Schluß ziehen, es handele sich um ein sehr ernstes, schweres Buch, ist so nicht erforderlich. Genazino vermag auch immer wieder humorvolle Passagen bzw. Personen einzubauen. So zieht sich durch das ganze Buch die Person des Postfeindes, eine Figur, die der Held kennt und der in Form einer Verschwörungstheorie bis hin zum Wahnsinn gegen die Post vorgeht bzw. akribisch Buch über deren Verfehlungen führt. Die Passagen, die diese Figur beschreiben, zeichnen sich besonders durch Situationskomik aus. Aus alledem entsteht ein Buch aus einem Guß von einem der interessantesten deutschen Schrifstellern der Gegenwart.  


>Ich rutsche mehr und mehr in einen Tageszustand hinein, den ich nicht schätze. Es ist die Verlangsamung des äußeren Lebens bei gleichbleibender innerer Eile. Vermutlich ist heute einer jener Tage , an denen die Menschen glauben, sie hätten Krebs. Wenn ich mich nicht täusche, läßt wenigstens das Getröpfel (es regnet) wieder nach.<

Dieser Satz soll zeigen: Ein Tag mit einem Buch von Wilhelm Genazino ist kein verlorener Tag!


Die Entdeckung Wihelm Genazino

Wilhelm Genazino ist für mich bislang in diesem Jahr die literarische Entdeckung. Er ist kein "neuer" Schriftsteller in der bundesrepublikanischen Literaturszene, nein schon seit Jahrzehnten schreibt dieser Mann und ist auch schon mit dem renommierten Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet worden. Dennoch erscheint es mir so, als ob eine breite Bekanntheit nicht vorliegt. Und, so bin ich geneigt zu sagen, zum Glück. Gilt es doch einen außerordentlich interessanten und "sprachkönnerischen" Schriftsteller kennenzulernen. Mir  lag vor: Abschaffel und zwar als Trilogie aus dem dtv Verlag. Diese Trilogie beinhaltet drei Bücher:Abschaffel, Die Vernichtung der Sorgen, Falsche Jahre. Held (kann er überhaupt so genannt werden?) ist der Angestellte Abschaffel. Ein eigenbrötlerischer, kleiner Angestellter, alleinlebend und in seinem Denken verquer und auch unkonventionell. Ein Flaneur, der gerne in seiner Stadt umher läuft. Dem die kleinen, nervigen Dinge in seinem Leben auffallen und gehörig auf die Nerven gehen. Sein Verhältnis zu Frauen ist gestört bis gar nicht vorhanden. Und so dümpelt er im tägliche Einerlei seines Lebens dahin. Genazino ist ein Meister der Beobachtung der kleinen Dinge. Und er ist ein guter Beobachter der kleinbürgerlichen Existenz Mitte/Ende der 70er Jahre, denn aus diesen Jahren stammen die Romane. Und er verfügt über eine gute Portion Humor. So entstehen Romane, die auf der einen Seite den Blick für Dinge schärfen und andererseits einen Schriftsteller zeigen, dessen erzählerische Kraft außerordentlich ist. Kurze, auf den Punkt gebrachte Bücher eines manischen Beobachters gesellschaftlicher und individueller Vorgänge. Und dieses geschieht zB bei dem ersten Band, Abschaffel, bis zur Grenze des Peinlichen. Dennoch verfügt Genazino aber auch über die Fähigkeit, einen leichten, flüssigen Erzählstil zu entwickeln. Er braucht keine Satzungetüme um die kleinen Spleenigkeiten seiner Protagonisten zu transportieren. Auf den Punkt gebracht führt er uns in einem Spiegel die Unzulänglichkeiten des menschlichen Lebens vor. Ich bin gespannt auf weitere Literatur von Wilhelm Genazino.

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