Andreas Neeser hat mich vor einigen Jahren schon mit seinen Erzählungen Unsicherer Grund beeindruckt. Nun ist sein neuer Roman erschienen und es ist eine grandiose Abhandlung über Schuld und Vergebung. Ja, gibt es sie wirklich, die Vergebung. Oder hängt alles an dem seidenen Faden, von dem man nie in seinem Leben weiß, wann er reißt? Ob er überhaupt reißt? Können wir überhaupt handeln oder ist es alles irgendwo, irgendwie vorher bestimmt? Fragen, die bei Neeser mitschwingen, zum Glück versucht Neeser nicht auf Teufel komm raus eine Antwort.
Das ist gut so, jeder von uns muß seine Antwort selbst geben!
Dank an den Haymon Verlag für das ebook.
Das Finistère, diese faszinierende,
düstere, raue Landschaft am Meer in der Bretagne, tief im Westen ist
Schauplatz einer Tragödie.
Vero, die Freundin des Erzählers wird
von einer riesigen Welle während eines Sonnenbades am Meer in das
selbige gezogen und ertrinkt. Er stellt sich ein später noch einmal
dieser Situation, als er den Ort des Geschehnisses aufsucht.
Aber was erwartet er vor Ort?
Vergebung, weil er nicht hinterher gesprungen ist und einen
Rettungsversuch gestartet hat? Nein, das kann es nicht sein,
versichern ihm doch die Einheimischen, dass bei dem kalten Wasser
auch seine Überlebenschance nur gering gewesen wäre.
Erklärungen, Erinnerungen? Er weiß es
letztendlich nicht. Etwas zieht ihn zu dieser Landschaft. Auch die
Menschen und bretonischen Typen spielen sicherlich eine Rolle.
Und so stellt Andreas Neeser in diesem
schmalen Stück Literatur viele Fragen. Und dem Leser wird schnell
bewusst, das wären die Fragen, die er eventuell auch stellen würde.
So ist es jedenfalls mir gegangen. Wie geht man mit Katastrophen um?
Reicht die rationale Erklärung für sich, du bist nicht dafür
verantwortlich? Auch wenn es objektiv so ist? Oder fängt irgendwann
das Unterbewusstsein an, immer wieder die Situation abzuspielen und
nach alternativen Verläufen zu suchen.
Bestimmt, nur wofür und wohin soll es
führen? Der schicksalhafte Verlauf war da und ist nicht mehr zu
ändern. Zwischen diesen Spannungspunkten verläuft dieser Roman.
Andreas Neeser schildert das
eindringlich, nicht weinerlich. Wäre man bei der Betrachtung eines
Gemäldes, so würde man von „kräftigen Strichen“ sprechen.
Landschaft, Leben dort mit und gegen
die Natur sind Mittel zur Verdeutlichung. Der Leser spürt das Salz
in der Luft und den kräftigen Wind, den sturmgepeitschten Himmel.
Und dazwischen dieser schuldbeladene Mann. Klein, verletzlich. Und
schuldhaft? Davon geht er jedenfalls aus. Aber muss er davon
ausgehen? Sind da nicht Faktoren, die ihn von Schuld freisprechen?
Ist er gar ohne Schuld?
Aus diesen Polen bezieht der Roman
seine Spannung! Spannung im Sinne der Fragen nach Verantwortung,
Handeln und ggfls. der Möglichkeit anders zu handeln. Aber der
andere Handlungsstrang ist ja weg; weg innerhalb eines kurzen
Augenblicks. Alles zerstört! Zurück bleibt eine weitere Zerstörung,
die innerliche Zerstörung mit der der Erzähler leben muss.
Grandios hat Andreas Neeser das
erzählt. Es ist eigentlich ein profanes Thema. Tausende Menschen
sind tagtäglich damit konfrontiert. Der Autofahrer, der einen
kleinen Augenblick nicht aufpasst und einen schrecklichen Unfall
verursacht, der Mensch an einer Maschine, der durch falsche Bedienung
seinen Kollegen in Gefahr bringt; Beispiele kann man viele bilden.
Und alle stellen sich dann, genau wie
Andreas Neeser in seinem Buch, die immer gleichlautenden Fragen.
Und keiner kann ihnen darauf eine
Antwort geben. Und so gibt auch Andreas Neeser keine, so zumindest
habe ich es empfunden.
Er schreibt darüber und er schreibt
stark, eindrücklich und betroffen. Ein beeindruckender Roman!
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